
openZENIKPLUS veröffentlicht mit der ISSN 3052-4997 regelmäßig seit April 2025 Artikel zu den aktuellen Themen, mit denen sich deren Mitglieder beschäftigen. Da diese Rubrik ganz am Anfang steht, ist es wohl müßig, über den Journal Impact Factor (JIF) zu sprechen. Wir werden fortlaufend informieren.
Macht, Kultur und Diversität können als wesentliche Dimensionen verantwortungsvoller Führung verstanden werden. Aus der Theorie kommend und um einen praktischen Fall ergänzt, wird gezeigt, wie Kultur und Macht das Handeln in Organisationen prägen. Hier erhält Führung die besondere Rolle, zu hinterfragen und reflektieren, um im Spannungsfeld der drei Dimensionen Vielfalt anzuerkennen.
In meiner Arbeit setze ich voraus, dass wir hinsichtlich Führung über eine Handlung sprechen, die uns durch ihre komplexen sozialen und kulturellen Phänomene herausfordert. Diesem Gedanken folgend, werde ich sie nicht auf ihre Felder der Strukturen, Prozesse, Strategien und den Einsatz von Technologien reduzieren, sondern lenke nachstehend das Augenmerk auf das Handlungsfeld Mensch und ein Verständnis von Zusammenspiel von Macht, Kultur und Diversität – drei Dimensionen, die die Struktur, Kommunikation und Beweglichkeit von Organisationen prägen. Die vorgestellte Perspektive eröffnet in diesem Diskurs ein Verständnis für Führung als System, das immer auch ein kulturell vermitteltes und machtpolitisch strukturiertes Handeln darstellt. Macht, Kultur und Diversität sind dabei nicht separate Dimensionen, sondern vielmehr miteinander verbunden, sie bedingen und beeinflussen sich wechselseitig (Foucault, 1983; Han, 2005; Cameron & Freeman, 1991).
Ihre Dreiheit bildet den Ausgangspunkt für die Forschungsfrage und die sich daraus entwickelnden Antworten: Wie wirken Macht, Kultur und Diversität als miteinander verlinkte Dimensionen in der Führung zusammen und welche Bedeutung hat ihr gleichzeitiger Einfluss auf den Erfolg verantwortungsvoller Führung in einer Organisation. Diese Fragestellung bildet den theoretischen und praktischen Rahmen der Analyse. Macht wird danach als Phänomen verstanden, das Handlungsräume in Beziehungen strukturiert, Kultur als die symbolbehaftete und kommunikative Gestalt, in der Bedeutungen ausgehandelt werden und Diversität als Ausdruck gesellschaftlicher Pluralität, die Macht und Kultur fortwährend in Frage stellt, verändert und das letzte Wort sogleich wieder zum ersten werden lässt.
Zur beispielhaften Verdeutlichung dieser beinahe absurden Interaktion der drei Dimensionen dient der sogenannte Butter-Fall, ein Konflikt zwischen den Mitgliedern einer Organisation, der mit einer alltäglichen Situation begann: Die wechselnde Rabattierung des Verkaufspreises über einen mehrtägigen Zeitraum fiel einem Kunden auf und führte zu einem Konflikt zwischen mehreren handelnden Personen. Im Verlauf zeigte sich, dass nicht über die Butter als Gegenstand gesprochen wurde, sondern über tiefere Fragen von Kommunikation, Verantwortungsdiffusion, Geschlechterrollen und kulturellen Perspektiven – so verlagerte sich das Geschehen auf Metaebenen. Der Fall macht sichtbar, wie Machtverhältnisse, Sprache als Kultur und Diversitätsfragen bereits in organisationalen Mikrostrukturen ineinandergreifen und Konflikte erzeugen, die nur durch reflektierte, transklusive Führung bearbeitet werden können. Man mag sich vorstellen, welche Konsequenzen es nach sich zieht, den Kunden am Ende zur Verantwortung zu ziehen und zur Rede zu stellen, wie hier geschehen.
Die beschriebenen Interdependenzen werden nachstehend untersucht mit der Absicht, zu zeigen, wie Führung als kulturell, als machtbezogen, aber auch als ethisch besetzt werden kann – nicht nur Effizienz wird gefordert, sondern ebenso Sinn, individuelle Sprechfähigkeit und Integrität. Diese Zusammenhänge werfen die grundlegende Frage auf, wie Führung dabei unterstützen könnte, Macht in kulturelle Bedeutung zu übersetzen und wie Diversität diese Übersetzung zugleich diskutieren und verändern könnte. Um dies zu verstehen, lohnt zunächst ein Blick auf die Dimension, die vielleicht sogar die elementare darstellt und die deshalb hier als Ausgangsdimension dient: die Macht selbst.
Macht ist im sozialen Zusammenleben ein wesentliches Gestaltungselement, denn sie bildet den Kern der menschbeeinflussten Prozesse in einer Organisation. Nach Foucault (1983) stellt Macht keinen Besitz dar, sondern ein dichtes, biegsames und verzweigtes Netz aus Interaktionen, das in Diskursen, Praktiken und Institutionen erzeugt und weiterentwickelt wird. Foucault beschreibt Macht als allgegenwärtig und produktiv: Sie schafft Realitäten, produziert Wissen und formt Subjekte. In dieser Perspektive ist Führung immer auch eine Praxis der Macht, die zwar einerseits bestimmte Interessen einengt, andererseits dadurch aber auch anderen Interessen Freiheit ermöglicht. Han (2005) stellt heraus, dass Macht sowohl logische als auch ethische Dimensionen besitzt. Er regt an, wir sollten nicht als logischen Imperativ auffassen, dass Macht unterdrückt, sie entsteht stattdessen in Beziehungen und wirkt immer zwischen mindestens zwei Akteur*innen, deren Freiheiten sich gegenseitig (heraus)fordern – Unterdrückung wird so zur Kehrseite einer Medaille. Abweichend versteht Arendt (1970) Macht als Verhandeln in einer Gemeinschaft mit dem Ziel des Konsenses; am Ende sollte ergo verstanden werden, dass das eigene Argument auch das schwächere sein könnte. Weber (2005) wiederum beschreibt Macht als die Gelegenheit zur Nutzenoptimierung, die das Individuum auch gegen Widerstände anderer Individuen durchsetzt und weist folglich implizit auf die Schwäche des Arendt´schen Ansatzes hin: Hybris, Hedonismus und ihre marodierenden Freund*innen. Im Schluss verdeutlichen diese Perspektiven jedoch, dass Macht in Organisationen nie neutral ist, sondern stets mit kulturellen Interpretationen, Institutionen und sozialen Erwartungen verbunden bleibt.
Die Unmöglichkeit der Indifferenz heben auch French & Raven (1959) hervor und distinguieren sechs Machtquellen – Position, Strafe, Belohnung, Wissen und Zugang dazu, Charisma. Sie zeigen, dass Führungskräfte je nach Kontext auf diese zurückgreifen und sie im Rahmen eigener Politik kombinieren. Zu dem systemischen und prozessualen Vorgehen unter Berücksichtigung der Kontexte hebt Neuberger (2006) hervor, dass Macht in Organisationen häufig mikropolitisch eingesetzt wird, um Interessen durchzusetzen oder Allianzen zu bilden – es geht darum, wer, warum, mit wem, wie ausgeübt, wie angepasst beziehungsweise verändert, wie gerechtfertigt wird. Die Beobachtungen von Pfeffer (2022) ergänzen, dass wirksame Machtausübung auf Selbstbewusstsein, Wahrnehmung und Netzwerken beruht. Zusammenfassend zeigt sich die Herausforderung für die Führung, das eigene Handeln als Handwerk zu verstehen, das Macht bewusst, reflektiert und im Sinne gemeinsamer Ziele gestaltet – und wie bei jedem Handwerk macht Übung Meister*innen und nicht der Ablasshandel mit teuren Coach*innen oder noch weiteren gedruckten Ratgebern. Macht wird ergo nicht nur ausgeübt, sondern auch erfahren, gelernt, geteilt und gedeutet. Sie erschafft die sozialen Räume, in denen Menschen (ver)handeln und Kultur entstehen lassen. Wie aber prägt die Kultur die Formen, in denen sich Macht manifestiert, in denen sie erfahren und gedeutet wird?
Wir gehen hier einen kleinen Schritt zurück, erweitern unser Blickfeld und erlauben uns eine kleine Hypothese: Wenn Macht die Beziehungsstruktur beschreibt, in der Führung stattfindet, dann bestimmt Kultur unseren Gesichtskreis, innerhalb dessen wir überhaupt nur Sinn erkennen können und dort die Frage nach Annehmbarkeit oder Unannehmbarkeit der Auswirkungen von Macht stellen. Dabei hinterlegt Kultur unsichtbar und informell die individuellen und kollektiven Handlungen in der Organisation. Sie definiert deren gemeinsame Werte, Güter, Gesinnungen, Tugenden sowie die abgeleiteten Pflichten und Normen als Rahmen, der den Raum bestimmt, in dem Individuen handeln und Organisationen sich anpassen können. Der Begriff Kultur, konzeptionell vielfältig definiert (Nünning, 2009) und zurückgehend auf das lateinische colere für pflegen, bebauen, wurde nach dem linguistic turn als Sprache der sozialen Welt verstanden, der darauf aufsetzende spatial turn rückte zusätzlich den Raum als Kontext kultureller Verhandlung in den Fokus (Bachmann-Medick, 2019). Organisationen sind folglich kulturelle Räume, in denen Bedeutungen erzeugt und geteilt werden. Cameron & Freeman (1991) beschreiben mit dem Competing Values Framework vier Idealtypen organisationaler Kultur – Clan, Adhocracy, Hierarchie und Markt –, die zwischen Stabilität und Flexibilität, interner Kohärenz und externer Orientierung ausbalanciert werden müssen. Delanoy (2020) und Ten Thije (2020) betonen, dass eine gerechte, verantwortungsvolle Unternehmenskultur durch ehrliche Kommunikation und Vertrauen entsteht. Sommer (2005) argumentiert, dass die beste Kultur jene ist, die an sich selbst zweifelt – ergo lernfähig und kritisch bleibt.
Wo stehen wir also? Der praktische Butter-Fall verdeutlicht, wie sich kulturelle Muster in der Alltagswirklichkeit manifestieren können. Der Konflikt über den Preis der Butter war tatsächlich Ausdruck unterschiedlicher kultureller Erwartungen, Kommunikationsstile und wahrscheinlich unbewusster Machtspiele. So interpretierte beispielsweise eine Protagonistin das Problem als organisatorisches Versagen, während eine andere es als zwischenmenschliche Kränkung verstand – wir dürfen dies als Hinweis darauf verstehen, wie verschiedene individuelle Hintergründe innerhalb einer Organisation zwar von demselben Sachverhalt hinterleuchtet werden, aber die Realität unterschiedlich konstruiert wird. Der gewöhnliche Alltag könnte so bei sezierender Beobachtung ein Phänomen der Verhandlung der Kulturen in der Organisation sein, mit all den Fragen, die in solch einer Verhandlung gestellt werden: Wer übernimmt Verantwortung? Wessen Stimme zählt und wie sehr? Wie werden Konflikte ausgetragen? Selbst die scheinbar nebensächliche Frage, wer die Butter auspreist, wurde zur Projektionsfläche tieferliegender Rollenbilder und unausgesprochener Erwartungen an Geschlecht und Status. Wenn man hier eine Leistung von Führung erwarten könnte, wäre sie auch eine semantische, die das auf Konsens zielende Verhandeln ermöglicht, Missverständnisse offenlegt und erklärt sowie die Fähigkeit beweist, Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Den entstehenden Widerhall im Raum könnten Führende nutzen, um diesen Raum durch Kultur zu gestalten, denn sie kann Macht stabilisieren oder destabilisieren, sie kann Inklusion und Transklusion fördern oder umgekehrt Diskriminierung erzeugen.
Nun stellt sich im Anschluss die Frage, wie Organisationen mit den sich überlagernden Tönen und resultierenden Kakophonien umgehen, die kulturelle Vielfalt unweigerlich hervorbringen könnte und wie Führung diese Vielfalt harmonisiert. Wenn Kultur Machtbeziehungen strukturiert, dann bringt Diversität Bewegung in diese Struktur: Unterschiedlichkeit könnte sichtbar machen, wo Macht Ungleichheit ermöglicht und wo der kulturelle Rahmen exkludiert. Obgleich Diversität – samt ihrer Drillinge Gleichheit und Inklusion – auch als ökonomische Strategie verfolgt werden kann, wenn sie einen ökonomischen Vorteil für Handelnde verspricht, soll sie im Rahmen dieser Betrachtung als rein ethische Perspektive gelten; hier sprechen wir von intrinsisch veranlasster, gerechter und verantwortungsvoller Führung. Diversität erweitert unser Verständnis von der Organisation als sozialem System, das von Unterschiedlichkeit lebt. Rauh (2024) schlägt mit dem Begriff der Transklusion einen Schritt über klassische Definitionen hinausgehend vor, als Ziel nicht bloße Integration, sondern "den Veränderungsprozess, der Schließungen überwindet und damit sehr nah an der Wortbedeutung des Kompositums liegt: theoretische Schließungen überwinden". In der Alltagswirklichkeit zeigt sich jedoch gleichzeitig anders, dass Diversität unter abnehmender Akzeptanz leidet (Mirbach et al., 2025), statistische Daten belegen fortbestehende Ungleichheiten, beispielsweise stellen Frauen auch aktuell lediglich gut ein Fünftel der Vorstandsmitglieder großer deutscher Unternehmen (Allbright, 2024) und der unbereinigte Gender Pay Gap liegt beharrlich unwesentlich unter 20 Prozent (Destatis, 2025). Trotz gesetzlicher Maßnahmen wie dem Zweiten Führungspositionen-Gesetz (BMFSFJ, 2025) bleibt Parität schwer erreichbar. Darüber hinaus verdeutlichen beispielsweise die Arbeiten von Manne (2019), Sue (2020), Williams (2020) und Fuchs et al. (2025), dass rassistische und misogyne Mikroaggressionen weiterhin verbreitet sind. Diversität ist demzufolge kein additiver Wert, sondern eine kulturelle und machtpolitische Herausforderung von Rollen, Strukturen und Inhalten. Führung, die Diversität verantwortungsvoll annimmt, sollte Gelerntes und bisher Akzeptiertes hinterfragen, Machtasymmetrien reflektieren, Räume der Zugehörigkeit und Allianzen schaffen sowie Sprechfähigkeit ermöglichen (Buller, 2025). Dies erfordert Sensibilität, aber auch strukturelle Konsequenz: Diversität samt Gleichheit und Inklusion ist keine solidarische Ausrede, sondern Ausdruck der Gerechtigkeit in einer Organisation. Diversität fordert Kultur heraus wie der Fels Sisyphos und zwingt Individuen und Organisationen dazu, ihre Machtlogiken ständig zu hinterfragen. Erst wenn diese drei Dimensionen zusammen betrachtet werden, lässt sich verstehen, wie elementar sie im System ineinandergreifen.
Die Betrachtung der drei Dimensionen Macht, Kultur und Diversität sollte bis zu dieser Stelle im Text verdeutlichen, dass sie sich nicht schlicht rechnerisch aufsummen lassen, sondern einen Regelkreis wechselseitiger, systemischer Bedingtheit darstellen. Jede Veränderung in einer dieser Dimensionen wirkt unmittelbar auf die andere und vice versa. Macht, Kultur und Diversität sind in Organisationen untrennbar miteinander verbunden. Macht strukturiert, wer Zugang zu Ressourcen besitzt, Entscheidungen fällen kann und sprechfähig ist. Kultur liefert die symbolischen Codes, die diese Macht legitimieren. Und Diversität wiederum hinterfragt und reflektiert sie mit der Absicht, Veränderung zuzulassen. In diesem systemischen, prozessualen Spannungsfeld entstehen die Bedingungen, unter denen Führung gelingen oder aber scheitern kann. Zichy (2023) skizziert einige dieser Probleme und betont, dass Menschenbilder bestimmen, was als menschlich gilt – eine Einsicht, die auch für Führung zentral ist. Wenn Organisationen Diversität nicht anerkennen, beispielsweise aufgrund bestehender, omnipräsenter Vorurteile und Stereotypen (Thiele, 2016), verengen sie ihr Verständnis von Kompetenz und Zugehörigkeit. Wenn sie sich jedoch hinterfragend und reflektierend des Themas annehmen, kann kulturelle Vielfalt und Machtungleichheit zu einer kollektiven Vision mit großem Transformationspotential werden. Führung heißt dann, Räume zu schaffen, in denen unterschiedliche menschliche Stimmen gleichwertig gehört werden. Die Verbindung der drei Dimensionen zeigt sich deshalb besonders deutlich in interkulturellen Teams: Kulturelle Missverständnisse stehen oft in direktem Zusammenhang mit Machtkonflikten, Machtkonflikte wiederum bestätigen und reproduzieren kulturelle Muster. Wer in solchen Kontexten führt, braucht kulturelle Intelligenz, kommunikative Offenheit und die Fähigkeit, mit Ambiguitäten und den daraus resultierenden Unsicherheiten umzugehen (Ten Thije, 2020); Führung wird so zum Katalysator aus ständigem Lernen voneinander und übereinander, mit welchem einzelne Köpfe in Bewegung, also ins Denken gebracht werden. Sie stellt in diesem Sinne keine zementierte Position dar, sondern einen Prozess der Interaktion – es geht um ein ständiges Aushandeln von Sinn, Zugehörigkeit und Verantwortung. Welche Konsequenzen könnten sich daraus für das Verständnis von Führung als ethische Praxis ergeben?
Die Dreiheit von Macht, Kultur und Diversität bildet nicht nur den theoretischen Rahmen, sondern stellt auch die praktische Herausforderung für Führende dar, die gerecht und verantwortungsvoll handeln wollen, denn verantwortungsvolle, gerechte Führung sollte als ein interdependentes System aus Macht, Kultur und Diversität verstanden werden. Jede dieser Dimensionen wirkt auf die anderen ein, während die anderen auf sie selbst einwirken. Wir verstehen: Macht kann unterdrücken oder Teilhabe ermöglichen; Kultur kann stabilisieren und dynamisieren oder Stillstand bewirken; Diversität kann Spannungen erzeugen oder kreative Potentiale freisetzen. Entscheidend ist die Fähigkeit der Führungskraft, diese Wirkungen und ihre Ursachen zu erkennen und sinnvoll sowie produktiv zu gestalten. Der Butter-Fall zeigt, dass Konflikte im Kleinen als Ausdruck struktureller Themen im Großen verstanden werden können. Führung, die Macht reflektiert, Kultur verhandelt und Diversität lebt, erzielt nicht nur ökonomische Effekte, sondern schafft Sinn – und wird zu einer ethischen Praxis, die Individuen und Organisationen befähigt, sich selbst als lernende, in- und transklusive und verantwortungsbewusste Systeme und deren Elemente zu verstehen. Zukünftige Beobachtungen sollten die Dreiheit nicht isoliert, sondern als agiles Wechselverhältnis untersuchen, das Organisationskultur, Machtpraxis und Teilhabe nicht als mathematische Summe, sondern als lebendiges System versteht.
Deutschland ist vielfältig – doch reicht das? Trotz Millionen Menschen mit Migrationshintergrund bleibt die Sprache oft ein unsichtbarer, aber wirksamer Ausschlussmechanismus. Am Beispiel internationaler Fachkräfte zeigt sich: Es geht nicht nur um Deutschkenntnisse, sondern um die Frage, wer sprechen darf und wer gehört wird. Nachfolgend wird eine interkulturelle Sprache gefordert als Schlüssel für Teilhabe, Würde und gesellschaftlichen Zusammenhalt.
In Deutschland rumpelt es. Weltweit wird zur Notiz genommen, dass der Motor der deutschen Wirtschaft nicht mehr rund läuft, aber zunehmend wird auch wahrgenommen, welche gewaltigen gesellschaftlichen Probleme Deutschland nicht beantworten konnte – besser gesagt: nicht beantworten wollte, weil es doch so gut lief. Bereits früh nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brauchte damals West-Deutschland Fachkräfte, und sie kamen aus vielen Ländern wie Griechenland, Italien, der Türkei, um hier zu arbeiten, aber auch mit der Hoffnung, zu leben, eine Heimat fern der Heimat zu bekommen. In Deutschland wurden sie mit dem Begriff "Gastarbeiter" belegt. "Deutschland wird unterschätzt", schreibt Wehrle am 21. Juli dieses Jahres auf tagesschau.de, aber auch "Deutschland ist vielfältig". Beide Aussagen halte ich für bedingt richtig.
Schauen wir doch zunächst einmal auf die Frage, in welchen Zeiten wir leben. Weltweit erkennen wir, dass sich Strukturen verändern, Machtbalancen aus dem Gleichgewicht geraten, Rollen neu definiert und vergeben werden, neue Institutionen entstehen. Barbers VUCA-Modell von 1992 mit der Beschreibung, dass die Wirtschaft unter Druck durch "volatility" als Unbeständigkeit, "uncertainty" als Unsicherheit, "complexity" als Komplexität, "ambiguity" als Mehrdeutigkeit gerät, unter dem Akronym VUCA bekannt geworden, zerrieb spätestens die Force majeur der Corona-Pandemie als unzutreffend, die Zeit der Neuordnung nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ist längst vorüber und nicht mehr eine andere wegen dessen Fall. Nicht nur Cascio im Jahr 2020 hielt deshalb den Ansatz für aus der Zeit gefallen, weil er die heutige Komplexität nicht abbildet und führte das Akronym BANI für "brittle", "anxious", "nonlinear", and "incomprehensible" ein. Hier wird uns wohl bewusst, dass sich auch Vielfältigkeit unterschiedlich beschreiben lässt.
Ich lenke hier die Aufmerksamkeit der geneigten Leser*innen einmal auf das Handlungsfeld Mensch und möchte ein besonderes Problem diskutieren, das gern unter den Teppich gekehrt wird und im Rahmen aufkeimenden Nationalismus in vielen Staaten mehr als nur herausfordernd sein kann. Deutschland ist ein Land, in dem bereits heutzutage gut 25 % der Bevölkerung einen Migrationshintergrund besitzen, das mit einer alten Gesellschaft umzugehen hat, das mit einem Mangel von Fachkräften in der Wirtschaft zu kämpfen hat – gleichzeitig aber auch Millionen Menschen in den letzten Jahren aufgenommen hat, die aus unterschiedlicher Motivation eingewandert sind. Man sollte meinen, dass diese Konstellation doch auch neben einer Herausforderung gleichzeitig die Lösung dessen mit sich bringen könnte. Wenn man beispielsweise mit der Berliner U-Bahn fährt, ist es mittlerweile selten, Gesprächen in deutscher Spräche zu hören. Deutschland ist international. Aber ist es auch interkulturell? Und wenn, ist es auch so interkulturell, jedem Menschen Sprech- und Verhandlungsfähigkeit zu ermöglichen? Ich möchte den Blick auf eben die Fragestellung lenken und mit einem Beispiels eröffnen.
Navid (der Name ist geändert, aber der Sachverhalt ist so geschehen) kommt zu mir. Er ist einer meiner internationalen Studierenden, die in Deutschland studieren wollen, aber auch arbeiten müssen, um sich das Leben leisten zu können. Er bittet um ein Gespräch, er bittet um meinen Rat, er bittet um meine Hilfe. Er, exzellent ausgebildet als Ingenieur mit akademischem Abschluss, er, zurückblickend auf jahrelange Erfahrung in eben diesem Beruf, er erhält keinen Job in Deutschland, keine Offerte, keine Einladung zum Vorstellungsgespräch. An dieser Stelle muss ich genauer werden. Doch, doch, er erhält einen Job, eine Offerte, eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Bei Lieferando, bei KFC, bei McDonald’s. Sagen wir es doch ganz offen, was wir hier entdecken, nein, was uns phänomenal ins Hirn gedrückt wird, ist eine eindeutige Mikroaggression, systemisch, strukturell.
Was wir hier erleben, ist das Benutzen von Sprache als Mittel von Gewalt, um Macht und dessen Balance zu verhindern und auch aus ursprünglich zwei verhandelnden Subjekten ein Subjekt zu machen, welches auf das Objekt schaut und dieses entmenschlicht, daraus ein Ding werden lässt. Erst mit der Sprechfähigkeit wird das Subjekt zum Subjekt, kann eine eigene Perspektive entwickeln, kann mit einem anderen Subjekt in den Austausch von Argumenten und in den Diskurs gehen sowie in die Handlungen. Ist in diesem Zusammenhang das Symbol "Nein, ich spreche nicht mit dir!" auch das Symbol für Machtlosigkeit der Adressatin? Doch wer kann überhaupt senden? Das Individuum, wenn es über die Mittel und Ressourcen verfügt, die für ein anderes Individuum oder die Öffentlichkeit einen Vorteil verspricht oder eine Institution, Individuum und/oder eine Öffentlichkeit zwingt, sich regeltreue zu verhalten. Institutionen lassen denen eine Wahl, die Deutsch sprechen. Im System ist jedes Individuum jedoch davon abhängig, interagieren zu können, um dazuzugehören. Nur dann kann es eine Verhandlung um die eigene Position geben. Ansonsten wird jedes verhandlungsunfähige Subjekt zum Objekt, über das verhandelt, doch nicht mit dem verhandelt wird. Wenn Deutsch zur beherrschenden Sprache wird formell oder informell, dann wird anhand der Institutionen das System organisiert und Subjekte ohne entsprechende Fähigkeiten und Kenntnisse können nicht mehr verhandeln und werden machtlos. Dabei ist es doch überdeutlich, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, unter dem Schutz der Menschenrechte stehen, wie auch ihre Sprache unter diesem Schutz steht von Artikel 27 des International Covenant on Civil and Political Rights von 1966, Artikel 12 der European Charter for regional or minority languages von 1992, Artikel 52 der The Universal Declaration on Linguistic Rights des PEN von 1998, sowie Artikel 22 der Charter of Fundamental Rights of the European Union von 2000 – und auch unter dem Schutz von Artikel 3 des Grundgesetzes, der Verfassung Deutschlands.
Das, was Navid mir berichtet, es haben mir unabhängig voneinander dutzend internationale Studierende berichtet, darunter Ingenieur*innen, Architekt*innen, Maschinenbauer*innen. Deutschland steht am Scheideweg. Deutschland, und ich meine die gesamte Gesellschaft, muss sich entscheiden, ob sie Migration als Motor der Transformation und Sprachen als Treibstoff versteht und so Menschen in Deutschland und Menschen außerhalb signalisiert, dass sie eine gemeinsame semantische Ebene will, wie sie Byram im Jahr 1997 als "intercultural speaker" entwarf, oder ob weiterhin nationale-muttersprachlich Sprache mikroaggressiv eingesetzt wird und die Gesellschaft in Deutschland für eine deutsche und deutschsprachig gehalten wird.
Was also bleibt? Wir sollten verstehen, dass Sprache kein neutraler Raum ist, sondern ein Machtfaktor – still, aber wirksam. Wer spricht, der gehört dazu. Wer nicht spricht – oder nicht so, wie es erwartet wird –, bleibt draußen. Wir müssen uns ehrlich fragen: Welche Bedeutung messen wir Sprache in unserem Zusammenleben bei? Ist Deutsch ein Werkzeug der Integration – oder ein Filter, durch den Menschen sortiert werden? Deutschland steht am Scheideweg. Einerseits braucht dieses Land dringend Fachkräfte, Engagement, Vielfalt. Andererseits tut es sich schwer damit, anzuerkennen, dass Internationalität mehr verlangt als Toleranz – sie verlangt Verständigung. Und Verständigung bedeutet mehr als Sprachkurse. Es bedeutet, Räume zu schaffen, in denen Sprache nicht zur Waffe wird, nicht zum Vorwand, sondern zur Brücke. Wenn wir Menschen wie Navid nicht nur konnivieren, sondern einladen wollen, dann reicht es nicht, formale Gleichheit zu predigen. Dann müssen wir Strukturen überdenken, Institutionen befähigen und Sprache neu denken – als Mittel der Ermächtigung, nicht der Entmündigung. Interkulturalität beginnt nicht mit gutem Willen, sondern mit der Bereitschaft, Bedeutungen auszuhandeln. Eine Gesellschaft, die Migration ernst nimmt, muss Mehrsprachigkeit nicht als Problem, sondern als Potenzial verstehen. Wer sprechen darf, wird gehört. Wer gehört wird, kann mitgestalten. Und nur wer mitgestalten kann, bleibt.
Es gibt keine objektive Wahrheit – sie ist konstruiert und immer abhängig vom Diskurs. Unternehmen, die autoritär statt demokratisch geführt werden, konstruieren „Wahrheiten“ durch Machtstrukturen und erschweren eine offene, diskursive Wahrheitssuche.
Ist jeder fähig, zur Wahrheit beizutragen? Zunächst einmal möchte ich voranschicken, davon auszugehen, dass die Wahrheit nicht existiert. Ich versuche hier auch nicht, streng epistemologisch einzuordnen, sondern aus einer konstruktivistischen Perspektive Macht, Wahrheit und Diskurs im Unternehmen zu hinterfragen. Selbstverständlich lässt Wahrheit sich in den feuchten Träumen eines jeden Menschen konstruieren, damit schließt sie jedoch gleichzeitig aus, dass sie bei anderen Menschen existiert – gänzlich oder in Teilen. Neulich schrieb ich einem Freund, dass die Sache doch so einfach sei und doch so kompliziert und schickte voraus, dass bereits objektiv beobachtet werden müsse, denn ohne Objektivität gäbe es kein Argument und ja, auch die Objektivität müsse verhandelt werden. Ich zog folgenden Schluss: Es existiert kein letztes Wort. Dann kann es auch keine Wahrheit außerhalb des Diskurses geben. Und der größte Konsens im Moment der Frage bestimmt die momentane Wahrheit als Snapshot. Einmal abgesehen von der politischen Variablen der Macht, die die Regeln bestimmen. Wer die Macht besitzt, formt so seine Wahrheit und wenn das nicht funktioniert, dann eben mit Gewalt. Wo keine Objektivität existiert, existiert auch kein Diskurs und folglich keine Wahrheit beziehungsweise eine Annäherung an sie (mehr wird es eh nie sein). Was ich damit meine: Die „radikalen Positionen“ (es sind ja im Prinzip gar keine Positionen, sondern Grundsätze) tragen keinerlei Wahrheit in sich.
Es existiert kein letztes Wort. Ist das das letzte Wort? Oder doch nur so ein simpler dialektischer Trick, der ins Absurde führt. Und bringt nicht "Die 'radikalen Positionen' [...] tragen keinerlei Wahrheit in sich" einen "radikalen" Grundsatz zum Ausdruck. Wenn ich schreibe, es existiert kein letztes Wort und jemand darauf fragt, ob das das letzte Wort sei, kann es nicht das letzte Wort gewesen sein. Und so weiter. Dialektik sucks. Doch "Die 'radikalen Positionen' [...] tragen keinerlei Wahrheit in sich" ist lediglich die Beschreibung anhand der definierten Kriterien und keine Wertung. Aber die Kriterien selbst könnten radikal sein, wenn nicht der Konsens zu ihnen führt, und genau das nehme ich als Bedingung an. Ansonsten wäre „radikal“ nicht mehr als eine Bewertung anderer Perspektiven aus einer Nordpolperspektive – da geht es auch nur in eine Richtung und alles ist „radikal“. Die Wahrheit, und ich möchte hier auf die Wahrheit in Unternehmen schauen, diese eine, die existiert nicht, aber eine konstruierte, die könnte vorhanden sein, wenn Unternehmen demokratisch geführt werden – und jetzt gebe ich einen Moment nichts auf die Dialektik und fordere eine dichotomische Betrachtung – oder auch, wenn sie autoritär oder patriarchisch geführt werden. Eben das behauptet Kets de Fries (2025[1]) in einem Interview in der Zeitschrift Neues Lernen. "Viele Firmen sind autoritäre, von Angst geprägte Organisationen", meint er. Können Unternehmen überhaupt demokratisch sein oder sind sie darauf angelegt, Freiheit so einzuschränken, dass sie nur noch als Sicherheit wahrgenommen wird und die goldene Fußfessel das Unternehmen an seiner demokratischen Weiterentwicklung hindert?
In Anlehnung an die Ausführungen zu den Zerfallserscheinungen der Demokratien von Goankar (2024[2]) versuche ich zunächst die Übersetzung in die Wirklichkeit der unternehmerischen Organisationen und in eine mögliche Struktur der Dimensionen. Woran lässt sich denn erkennen, dass wir es nicht mit einer demokratischen Organisation zu tun haben? Wenn wir innerhalb der Unternehmung erkennen, dass keine Konflikte mehr existieren; die Mitarbeiter*innen haben aufgegeben. Als Konflikt begreife ich hier freilich nicht eine toxische Situation in einer Beziehung, welche erst gewaltsam zur Stille zwingt, sondern die Stille aufhebt und Keimzelle der sozialen Auseinandersetzung wird – und so auch des Diskurses. Herman Melville hängt solche Haltungen literarisch an seiner Figur Bartleby auf, denn er lässt den resignierten Bartleby vierfach "I prefer not to" (2025[3]) sagen, ein Sprechakt, der sein Streben nach Vermeidung zeigt. In letzter Zeit lassen sich derartige Tendenzen auch durch Phänomene wie das der der Great Resignation (Randstad 2021[4]) oder des sogenannten Quiet Quitting[5] und Tang Ping[6] erkennen, sämtlich Phänomene für das betonierte Gefühl, nicht mitbestimmen zu können, nicht gehört zu werden. Und kann es noch ein "Wir, das Unternehmen!" geben, wenn das Unternehmen nicht als dynamische Entwicklung gesehen wird? Wenn die vorherrschende Kultur im Unternehmen die Minderheiten verstummen lässt? Macht ist zentralisierend, wie sie Han (2005[7]) beschreibt, die Mitglieder streben zur Macht hin oder werden ausgeschlossen. Lassen Sie mich noch weiter gehen. Illouz (2024[8]) erkennt ein Streben nach Sicherheit in einer Demokratie, die eine Kultur der Angst erzeugt durch Artefakte von Sicherheit und erschwerten Zugang zu Freiheit. Was könnte das in einem Betrieb bedeuten? Ist es dann nicht so, dass die Motivation leidet, dass das reine Sicherheitsstreben der Mitarbeiter*innen soziale Möglichkeiten und letztendlich auch das der Selbstverwirklichung als eine wesentliche Freiheit im Unternehmen unterläuft? Wenn wir hier ganz konkret auf die von Rippl (2025[9]) benannten Repräsentationslücken in der Demokratie schauen, könnte es dann nicht auch in Unternehmen so sein, dass das Angebot und die Absichten der Organisation und ihrer Führung nicht deckungsgleich mit den Bedürfnissen der Mitarbeitenden zusammenfallen? Dann fühlen sich Mitarbeitende nicht repräsentiert und derartige Repräsentationsdefizite wie in einer Gesellschaft können auch auf der Mikroebene einer Organisation entstehen und populistische Tendenzen befördern.
Zeit, den guten, alten Sokrates (2008[10]) zu bemühen: "Offenbar bin ich [...] um eine Kleinigkeit weiser, eben darum, daß [sic!] ich, was ich nicht weiß, auch nicht zu wissen glaube". Ich möchte jetzt nicht in den Abgrund eines zusätzlichen Diskurses über Populismus oder der Anfälligkeit der Gesellschaft für diesen springen; Hypothesen wie "Je weiter links, je gebildeter und je jünger, desto kompetenter" (Meßmer, Sängerlaub & Schulz 2021[11]) oder die aktuelle Frage, was ist denn eigentlich "links" ist oder ob nun "Patchwork" gilt (Ackermann et al. 2015[12]), lasse ich hier einmal aus. Dennoch sollte uns bewusst sein, dass das Modell der Demokratie insgesamt unter Druck steht. Wenn man provozieren wollte (und das möchte ich ganz sicher), können wir dem Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2025 in Deutschland einige Dinge entnehmen. Und entsprechend fragen: Wer hat einen Wahlsieg der rechtsextremen AfD verhindert?[13] Ich gebe hier ein paar Antwortversuche: Rentner*innen über 70 Jahre mit guter Bildung und gutem finanziellen Polster. Umgekehrt sind AfD-Wähler*innen sind vorrangig jung (zwischen 25 und 44 Jahre), finanziell eher schlecht gestellt (auch die Selbstständigen wählten so, vorrangig aber Arbeiter*innen) und sind mittel oder einfach gebildet. Und bei den Geschlechtern haben Männer eher AfD gewählt, wenn extrem, und Frauen wählten eher BSW und Die Linke.
Die Demokratie befindet sich unter Druck und – ich komme noch einmal zurück auf de Vries – Unternehmen oder Organisationen sind nicht demokratisch. Ich versuche, mir vorzustellen, wie jemand, der im Unternehmen dahingehend kultiviert wurde, dass Autokratie und Patriarchat funktionieren und es keiner Demokratie dort bedarf, außerhalb dieser Organisation demokratische Prinzipien verwirklicht. Ich versuche mir auch vorzustellen, wie der mangelhafte Umgang mit digitalen Nachrichten lediglich auf der einen Seite nicht vorhanden sein soll oder Probleme beim Erkennen von Fake-News und bei der Einschätzung, welche Quelle vertrauenswürdig ist, vor der Haustür endet. Es schwant uns doch, dass wir über eine durchlässige Schwingtür sprechen und wenn die steile These aufgemacht wird, Unternehmen sein keine Demokratien (was ich für eine zutreffende Beschreibung halte), was das wohl für die Gesellschaft als Ganzes bedeutet. Wenn die Schwingtür durchlässig ist, was sagt uns dann beispielsweise die Studie "Autoritäre Dynamiken und der Unzufriedenheit mit der Demokratie" (Decker, Kiess & Brähler 2023[14]), wenn sie zeigt, dass nicht einmal die Hälfte der Befragten zufrieden mit dem Zustand des politischen Systems sind und zwei Drittel politisches Engagement als sinnlos bewerten. Oder fast 70 % der Aussage "Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen" ganz oder teilweise zustimmen. Was können wir denn erwarten von einer Gesellschaft, deren Unternehmen keine Demokratien sind? Für die Aussage "Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert" lag die Zustimmung mit Ausnahme von Ost-Berlin in allen Ländern zwischen 50 und 53 %. Es vertraten zwischen 5 und 22 % bei Die Grünen, Die Linke, SPD, Union und FDP im Osten Xenophobie oder Chauvinismus. Da lohnt es sich wieder einmal, nach der Ernsthaftigkeit des Begehrens nach der Lösung des Fachkräftemangels über Zuwanderung zu fragen, denn der Verdacht drängt sich auf, dass die Unternehmen selbst (oh ja, nicht alle, wir sprechen über Wahrscheinlichkeiten und Anteile) ein wesentliches Problem im System darstellen. Und da ist es kein Wunder, dass die Anschlussstudie "Vereint im Ressentiment" (Decker et al. 2024[15]) zeigt, dass der Anteil mit einem geschlossen ausländerfeindlichen Weltbild auf dem Gebiet ohne Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen von 12,6 % (2022) auf 19,3 % wuchs, in eben diesen von 38,4 (2022) auf 44,3 %. All das bestätigt die Mitte-Studie 2023 (Zick et al. 2023[16]), sie liefert Hinweise auf ein sehr starkes Wachstum von Xenophobie, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Verharmlosung des Nationalsozialismus, Nationalchauvinismus sowie der Befürwortung einer Diktatur im Vergleich zu den vorherigen Erhebungen, der sinkenden Demokratiezufriedenheit (Konrad-Adenauer-Stiftung 2024[17]) oder dem sinkenden Vertrauen in Institutionen (Greenpeace 2025[18]).
Aber prägen uns Erfahrungen im Unternehmen nicht? Wir lassen doch beim Betreten einen Teil unserer persönlichen Identität zurück und ergeben uns in weiten Teilen der sozialen Identität. Zu verstehen, was Demokratie bedeutet, steht in engem Zusammenhang mit den Einstellungen und Werten, die wir durch Sozialisierungsprozesse erwerben, im Zusammenhang damit, was wir als Macht erachten, was Macht ist, wer sie besitzt – und wer ausgeschlossen ist und vielleicht sogar vom Menschen zum Ding degradiert wird, indem er in der Summe der bedeutenden Praktiken dieser Gesellschaft keine Rolle spielt. Und hier stellt sich zudem die Frage, was dies für die Macht der Mitarbeitenden bedeutet, wenn Unternehmen nicht demokratisch sind. Es sollte wohl unstrittig sein, dass damit Freiräume eingeschränkt werden, sich zu verwirklichen und dass eine Veränderung von Abhängigkeiten im Unternehmen unmöglich wird, mikropolitisch tritt eine Unzufriedenheit ein. Fatal nur, dass wir grundsätzlich nach Zufriedenheit im Leben suchen, die eine wichtige Bedingung unserer Gesundheit darstellt; fokussieren wir uns auf die Organisationen, wird deutlich, wie essentiell Zufriedenheit im Job wirkt und welche wesentliche Bedeutung einer guten Beziehung zur Führungskraft innewohnt (De Neve et al. 2018[19], Thomas et al. 2021[20]). Umgekehrt erkennen wir mangelhafte Motivation und Kündigungen (EY 2025[21]), weil Wertschätzung, Zugehörigkeitsgefühl, Vertrauen fehlen (De Smet 2021[22]), unangemessen bezahlt sowie Selbstverwirklichung erschwert wird (Oliver Wyman 2021[23], National Academies of Sciences 2024[24]).
Ein Kollege berichtete mir erst kürzlich aus einem aktuellen Forschungsprojekt zum Thema Unternehmensnachfolge, der größte Erfolg für einen der Manager sei gewesen, dass plötzlich im Unternehmen kommuniziert wurde. Was bedeutet es denn aus demokratischer Sicht, wenn mindestens zwei der drei Dimensionen betrieblicher Demokratiekompetenz offensichtlich nicht vorhanden sind, nämlich die aktive mitbestimmende Teilnahme im Unternehmen und anzunehmen wohl auch die Fähigkeit zum Diskurs. Eingangs hatte ich bereits gezeigt, dass nach de Vries Angst eine Rolle spielen könnte. Könnte es sich um die Angst vor negativen Folgen für Selbstbild, Status, Karriere handeln, die Edmondson (1999[25]) beschreibt? Was ich damit verdeutlichen möchte, ist der Umstand, dass es vermutlich ein deutliches Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Psychologischer Sicherheit gibt. Ich greife hier zunächst zwei Zustände insbesondere auf, welche Bolton (2024[26]) beschreibt, nämlich sich einerseits sicher zu fühlen oder andererseits mobilisiert zu sein, zu kämpfen oder zu flüchten (es geht mehr um das Kämpfen als um das Flüchten). Wenn ich mich sicher fühle, besitze ich den Mut, meine Meinung auch dann zu äußern, wenn ich mich mit einer Mehrheit andersdenkender und sprechender Menschen auseinandersetzen muss, die mich oder meine Meinung ablehnen; weil ich sicher bin, toleriere ich die anderen Meinungen und Argumente. Ich werde sprechfähig, ich verhandele, ich erhalte Macht. Doch was brauche ich, um diese Sicherheit zu erlangen? Zwei Leitplanken fehlen zu dieser Sicherheit, um sie zu erwerben oder nicht zu verlieren. Zunächst ist es das Wissen um die eigenen Möglichkeiten der Menschenrechte (European Court of Human Rights 2013[27]), deren Bedeutung nicht in Unternehmen verschwindet, sowie die Fähigkeit zur monologischen Reflexion, einer grundsätzlichen ethischen Fähigkeit, um eigene Standpunkte zu entwickeln und aufbauend im Diskurs die eigenen Argumente vorzutragen, zu vertreten gegen Konterargumente und den Konsens zu entwickeln. Diese drei Leitplanken werden so und ähnlich auch unter anderem bei Detjen (2002[28]), Himmelmann (2005[29]), Education, Audiovisual and Culture Executive Agency (2012[30]), Gollob, Krapf & Weidinger (2014[31]), und an den Council of Europe (2016[32]) diskutiert. Für das Unternehmen oder die Organisation bedeutet das, dass es nur demokratisch sein kann, wenn lernend Kompetenzen der Mitarbeitenden erworben werden, was schließlich verhindert, in einen von Bolton (2024[33]) sogenannten neurobiologischen Zustand der Erstarrung zu fallen ohne Kontrolle durch den rationalen Verstand.
Wir können uns gut vorstellen, meine ich, dass sich eine undemokratische Organisation so ihrer Chancen beraubt, die Zukunft zu gestalten und nachhaltig zu wachsen. Undemokratische Unternehmen sind unflexibel, demotivierend und gefährlich für die demokratische Kultur insgesamt. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen Unternehmen Demokratiekompetenzen fördern, Diskurs ermöglichen und Macht dezentralisieren. Jeder Mensch sollte befähigt werden, an der Konstruktion einer objektiven Wahrheit mitzuwirken zu können.
DOI: 10.13140/RG.2.2.22615.38568
[1] https://www.haufe.de/personal/neues-lernen/populismus-im-unternehmen_589614_641038.html
[2] Gaonkar, D. P. (2024) Die Struktur demokratischer Zerfallserscheinungen und das Gebot der direkten Aktion. In: C. Calhou, D. P. Gaonkar und C. Taylor, Zerfallserscheinungen der Demokratie (Seiten 291-331).
[3] https://moglen.law.columbia.edu/LCS/bartleby.pdf
[4] https://www.randstad.co.uk/about-us/industry-insight/great-resignation/
[5] https://www.ft.com/content/c5cddb3a-dcf8-4ef8-a1c2-ed866c214d2b
[6] https://www.bbc.com/news/world-asia-china-57348406
[7] Han, B.-C. (2005). Was ist Macht? Reclam.
[8] Illouz, E. (2024) Undemokratische Emotionen.
[9] https://www.bpb.de/themen/parteien/rechtspopulismus/559465/repraesentationsluecken-realitaet-oder-rechtspopulistisches-narrativ/
[10] Platon (2008). Apologie des Sokrates. Reclam.
[11] https://www.mabb.de/files/content/document/UEBER%20DIE%20MABB/Download-Center/Studien/studie_quelleinternet.pdf
[12] https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-06312-2_7
[13] Datengrundlage: https://www.tagesschau.de/inland/bundestagswahl/ergebnisse
[14] https://efbi.de/details/efbi-policy-paper-2023-2-autoritaere-dynamiken-und-die-unzufriedenheit-mit-der-demokratie.html
[15] https://speicherwolke.uni-leipzig.de/index.php/s/67fcR2sdn2WLjdZ
[16] https://www.fes.de/index.php?eID=dumpFile&t=f&f=91776&token=3821fe2a05aff649791e9e7ebdb18eabdae3e0fd
[17] https://www.kas.de/documents/d/guest/finaler-text-24-02-19-baeumchen-wechsel-dich-sabine-pokorny-240113729-_final
[18] https://www.greenpeace.de/publikationen/Umfrage-Ergebnisse_Jugend%20Schule%20und%20Demokratie.pdf
[19] https://www.researchgate.net/publication/324830283_Work_and_Well-being_A_Global_Perspective
[20] https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/featured%20insights/diversity%20and%20inclusion/women%20in%20the%20workplace%202021/women-in-the-workplace-2021.pdf
[21] https://www.ey.com/de_de/newsroom/2025/01/ey-work-reimagined-2024-2025
[22] https://www.mckinsey.com/~/media/mckinsey/featured%20insights/mckinsey%20global%20surveys/mckinsey-global-surveys-2021-a-year-in-review.pdf
[23] https://www.oliverwymanforum.com/global-consumer-sentiment/2021/nov/the-end-of-loyalty-and-how-to-get-it-back.html
[24] National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine. 2024. Mental Health, Wellness, and Resilience for Transit System Workers. Washington, DC: The National Academies Press. https://doi.org/10.17226/27592 .
[25] https://web.mit.edu/curhan/www/docs/Articles/15341_Readings/Group_Performance/Edmondson%20Psychological%20safety.pdf
[26] https://bradenkelley.com/2024/01/80-of-psychological-safety-has-nothing-to-do-with-psychology/
[27] https://www.echr.coe.int/documents/d/echr/convention_ENG
[28] https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/25554/die-demokratiekompetenz-der-buerger/
[29] https://www.pedocs.de/volltexte/2008/257/pdf/Himmelmann2.pdf
[30] https://ec.europa.eu/citizenship/pdf/citizenship_education_in_europe_en.pdf
[31] https://issuu.com/livingdemocracy/docs/en_vol1_educating_democracy
[32] https://rm.coe.int/16806ccc0b
[33] https://bradenkelley.com/2024/01/80-of-psychological-safety-has-nothing-to-do-with-psychology/
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